"Fridays for future" im Dorfwirtshaus

| Christa Vogl

Guttenberg und Schweißenreuth beschäftigen sich mit Klimawandel und Artensterben. Große Fragen für zwei kleine Dörfer. Doch es herrscht Aufbruchstimmung.

Kemnath. Guttenberg: 49 Einwohner, 15 Häuser, 1 Feuerwehrhaus, 1 Kapelle, 1 Wirtshaus.
Schweißenreuth: 44 Einwohner, 12 Häuser, 1 Glockenturm.
Der Hessenreuther Wald sowie der Steinwald nur einen Steinwurf entfernt und das beeindruckende Panorama von Schlossberg und Rauhem Kulm allgegenwärtig.

Geschäfte gibt es in den beiden Dörfern, die an der B22 liegen, keine. Hat es noch nie gegeben. Zum Einkaufen fahren die Einwohner mit dem Auto in die nächste Kleinstadt. Arbeitsplätze gibt es auch nicht, abgesehen von den beiden Haupterwerbslandwirten. Alle anderen fahren zum Arbeiten in die Städte: nach Tirschenreuth, Weiden, Floß, Grafenwöhr, Amberg, Bayreuth. Minimum 30 Kilometer. Wer Glück hat, braucht nur nach Kemnath oder Erbendorf zu pendeln. Natürlich mit dem eigenen Auto, weil irgendwie jeder zu einer anderen Zeit in eine andere Richtung muss.

Gegen die Windräder

Und in diese beschauliche Dorfidylle platzt dann die Neuigkeit mit den geplanten 13 Windrädern im Hessenreuther Wald. Jedes davon 230 Meter hoch. Ohne Zeit zu verlieren, machen die Bewohner mobil: Eine Bürgerinitiative wird gegründet, man ist ganz klar dagegen - gegen Lärm, Infraschall, Schattenschlag, die internationalen Windpark-Investoren aber besonders gegen die Zerstörung des Ökosystems im Hessenreuther Wald.

Natürlich ist man im Dorf nicht grundsätzlich gegen Windräder. Die Menschen, die hier zu Hause sind, haben durchaus ein Bewusstsein für die massiven Umweltprobleme und können nicht als weltfremd bezeichnet werden. Im Gegenteil: Von irgendwoher muss der Strom aus der Steckdose schließlich kommen, die Energiewende soll ja auch gelingen. Doch andererseits beunruhigt viele die Tatsache, dass selbst hier in der ländlich geprägten Landschaft, quasi vor ihrer Haustür, bereits viele Tierarten komplett oder mindestens zum Großteil verschwunden sind. Egal ob es sich um Schwarzstorch, Rotmilan, Habichtskauz, Fasan oder Rebhuhn handelt. Und klar ist auch, warum das so ist. Weil nämlich die Nahrungsbedingungen für diese Vögel äußerst ungünstig sind und es an passenden Brutplätzen mangelt.

Ein Dilemma. Einerseits die Windräder oder allgemein die Energiewende, zu der jeder Bürger ein Stück beitragen soll und muss. Andererseits das Bestreben, nicht noch ein weiteres Stück intakter Natur vor der Haustür zu verlieren, ohne sich allerdings aus der Verantwortung zu stehlen. Und genau aus diesem Zwiespalt heraus trifft sich die Dorfgemeinschaft an einem Freitagabend im Wirtshaus unter dem Motto "Wir für Guttenberg und Schweißenreuth" und stellt sich den großen Fragen: Was können wir in unseren beiden Dörfern tun gegen den Klimawandel? Was können wir tun gegen das Artensterben? Was können wir hier bei uns vor Ort leisten mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen?

"Kleine Dörfer - große Begriffe", mit diesem Gegensatzpaar leitet Ortssprecher Hans Reindl die Diskussionsrunde ein. Und konfrontiert die Bewohner mit einer Reihe weiterer Fragen, die sich jeder schon einmal gestellt hat. Ob es denn überhaupt Sinn gebe, sich persönlich zu engagieren. Ob man mit den Mitteln eines Dorfes überhaupt irgendetwas bewegen könne.

Auf Ideensuche

Und ob es nicht vielleicht doch sinnvoller wäre, einfach in aller Ruhe abzuwarten, bis die große Politik Maßnahmen ergreift. "Das Einfachste ist natürlich, wenn man sagt, dass 'der oder der' endlich etwas tun müsse", sagt Reindl. "Doch wir sind heute hier, um uns zu fragen, was wir vor Ort mit unseren Mitteln tun können."

Durch die Reihen geht ein zustimmendes Murmeln, Kinder flüstern miteinander, kichern, der Wirt steht hinterm Tresen, zapft Bier und spült ganz nebenbei Gläser, über die Tische hinweg nicken sich die Leute zu, denn natürlich kennt man sich untereinander sehr gut.

Schließlich kehrt wieder Ruhe ein. Reindl erklärt, dass dieses erste Treffen hauptsächlich dazu gedacht ist, Vorschläge zu sammeln ohne dabei zu diskutieren, wie sie zu realisieren sind und wie die Dorfgemeinschaft dazu steht. Dann gibt es die ersten Wortmeldungen. Männer, Frauen, Kinder, große Projekte, kleine punktuelle Maßnahmen, bunt gemischt, ein wildes Durcheinander. Einfälle, die leicht innerhalb eines Jahres verwirklicht werden können und Vorschläge, die tief in die künftige Struktur des Dorfes eingreifen. Ideen über Ideen: vom Blühstreifen bis zur Energieautarkheit der beiden Dörfer, von Fledermauskästen bis zum zentralen Photovoltaikspeicher, von Haarseife statt Shampoo in Plastikflaschen, von Benjeshecken und Lerchenfenstern.

20 Vorschläge

Gut zwei Stunden und ungefähr 20 Vorschläge später schließt Reindl die lebhafte und ergebnisreiche Versammlung mit der Info, dass die zusammengefassten Vorschläge per E-Mail an die Anwesenden versandt werden, das nächste Treffen ist diesen Sonntag, 27. Oktober. Vor dem gemütlichen Teil gibt es erfreulicherweise schon die erste kleine Erfolgsmeldung: Künftig werden sich am Samstagmorgen sechs Familien aus dem Dorf zu einer Semmel-hol-Fahrgemeinschaft zusammenschließen, um Einzelfahrten zu vermeiden. Und natürlich können sich jederzeit weitere Familien anschließen.

An diesem Abend wird in Guttenberg und Schweißenreuth zwar nicht die Welt gerettet, aber die Teilnehmer haben den Eindruck, einen ersten kleinen Schritt in die richtige Richtung getan zu haben. Und so gesehen war es wohl doch kein Zufall, dass dieses Treffen an einem Freitag stattfand. Eben Fridays for Future im Dorfwirtshaus.

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